Zweiter Corona-Shutdown: Bordelle müssen erneut schließen

Sexarbeiter sehen sich angesichts des erneuten Corona-Shutdowns ein weiteres Mal vor einer ungewissen Zukunft. Da bundesweit die Bordelle geschlossen werden müssen, droht vielen Betroffenen der Verlust ihrer Existenzgrundlage oder sogar die Obdachlosigkeit. Außerdem steht zu befürchten, dass illegale Strukturen befördert werden.

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Bordellschließungen wegen November-Shutdown – schwerer Schlag für Sexarbeiter

Vergangene Woche beschloss die Bundesregierung einen erneuten Corona-Lockdown. Vom 2. November bis zum 30. November 2020 haben neben Gastronomie, Freizeit- und Sporteinrichtungen, körpernahen Dienstleistungen und Kunst & Kultur auch Prostitutionsstätten, Bordelle und ähnliche Einrichtungen temporär geschlossen.

Der erneute Shutdown und die damit verbundenen Bordellschließungen trifft das Prositutionsgewerbe hart – hatte die Branche unter den bisherigen Corona-Beschränkungen doch schon schwerer zu leiden als viele andere gesellschaftliche Bereiche. Etwa durften in einigen Bundesländern Sexarbeiter gemäß der jeweiligen Landesverordnung zu Prostitution seit dem ersten Corona-Lockdown bis heute nicht wieder ihre Dienstleistungen anbieten. Es wird also nahtlos in den zweiten Lockdown übergegangen. Und in anderen Bundesländern war die Ausübung von Sexarbeit an strenge Auflagen gebunden, die deutlich über die Hygienemaßnahmen, an die Arbeitnehmer in anderen Branchen gebunden waren, hinausgingen.

Besonders betroffen von den Corona-Maßnahmen sind neben den Betreibern von Bordellen oder ähnlichen Etablissements die Sexarbeiter selbst. Die Prostituierte Hanna vom Aktionsbündnis „Sexy Aufstand Reeperbahn“ erklärt: „Mit einem neuen Shutdown kommt eine riesige finanzielle Not auf uns zu. Keiner hat mehr Geld. Einen zweiten Shutdown schafft hier keiner mehr.“

Und die Situation fällt womöglich sogar noch schlimmer aus. Da viele Prostituierte nämlich nicht nur im Bordell gearbeitet, sondern dieses auch als Unterkunft genutzt haben, könnten die Bordellschließungen über die finanzielle Schieflage hinaus zu Obdachlosigkeit führen.

Wie viele Betroffene es geben könnte, zeigen die Zahlen des statistischen Bundesamtes, laut dem Ende 2019 ganze 40.000 Menschen ein Gewerbe im Bereich der Prostitution angemeldet hatten. Bedenkt man, dass die Dunkelziffer an Sexarbeitern vermutlich noch deutlich höher ist, lässt sich ungefähr nachvollziehen, wie viele Betroffene von den harten Corona-Restriktionen im Bereich der Prostitution es tatsächlich gibt.

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Branchenverbände reagieren entsetzt

Der Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen (BSD) und Doña Carmen, ein Verein für die sozialen und politischen Rechte von Prostituierten, zeigen sich wenig begeistert vom erneuten Lockdown. In Pressemitteilungen stellen die Branchenverbände klar, dass schon die Beschränkungen für das Prostitutionsgewerbe im Rahmen des ersten Lockdowns unverhältnismäßig hart waren.

So kritisiert etwa der BSD, dass die staatliche Unterstützung für viele Bordell-Betriebe zur Deckung der Kosten nicht ausgereicht habe, es unterschiedliche Regelungen in den Landesverordnungen zu Prostitution gegeben habe und viele Sexarbeiter aufgrund ihrer finanziellen Not außerhalb des geschützten Raums eines Bordells weiter hätten arbeiten müssen.

Bordelle schließen wegen dem Corona-Virus

Es heißt, dass dies alles mit den Corona-Schutzmaßnahmen nicht zu rechtfertigen gewesen sei. Denn: In Bordellen hätten ausschließlich 1-zu-1-Kontakte stattgefunden, man habe sich ausnahmslos an alle Corona-Hygienemaßnahmen gehalten und bis heute sei kein einziger Infektionsfall in einem Bordell bekannt geworden. Da Sexarbeit systemrelevant sei und die erneute
Schließung zu drastischen Folgeschäden führen würde, spreche man sich daher entschieden gegen einen zweiten Lockdown aus.

Doña Carmen schlägt in die gleiche Kerbe. In allen Bundesländern, in denen die Wiedereröffnung der Bordelle in den vergangenen Monaten erwirkt werden konnte, habe man sich stets an die Auflage von 1-zu-1-Kontakten bei der Erbringung sexueller Dienstleistungen gehalten. Daher sei es in keinster Weise nachzuvollziehen, wie das Prostitutionsgewerbe weiterhin als Treiber der Corona-Pandemie angesehen werde und erneut alle Bordelle geschlossen werden müssen.

Laut Doña Carmen finde aus Richtung der Politik eine systematische Existenzvernichtung im Prostitutionsgewerbe statt. Dagegen wolle man sich mit aller Entschiedenheit zur Wehr setzen.

BSD und Doña Carmen befürchten Verlagerung in Illegalität

Die drastischste Konsequenz, die aus den Bordellschließungen und den existenziellen Nöten von Sexarbeitern resultiert, ist nach Meinung beider Branchenverbände die Verlagerung in die Illegalität. Laut Doña Carmen sei zu befürchten, dass „informelle Strukturen, die sinnvoller Regulierung weitgehend unzugänglich sind“, befördert werden. Unter „informelle Strukturen“
sind Zwangsprostitution, Menschenhandel, Ausbeutung und Gewalt zu verstehen.

Der BSD meint, dass Prostituierte in eine deutlich schwächere Position gegenüber dem Kunden getrieben werden und sie so Gewalt, Ausbeutung und Bußgelder riskieren würden. Etwas, dass eigentlich nicht im Sinne der Bundesregierung sein kann, was aber nach Auffassung von BSD und Doña Carmen unvermeidlich ist, wenn die Politik ihren aktuellen Corona-Fahrplan beibehält.